kontemplative Fotografie


Das blosse Anblicken einer Sache kann uns nicht fördern. Jedes Ansehen geht über in ein Betrachten, jedes Betrachten in ein Sinnen, jedes Sinnen in ein Verknüpfen, und so kann man sagen, dass wir schon bei jedem aufmerksamen Blick in die Welt theoretisieren.

Johann Wolfgang von Goethe

Auch wenn es zur Zeit von Goethe noch keine Fotografie gab – dieser Auszug aus dem Vorwort zur Farbenlehre umschreibt es treffend. Die kontemplative (lat. „anschauen“, „betrachten“) oder beschauliche Fotografie ist eine besondere Art der Fotografie, die sich erst mit dem Motiv auseinandersetzt, darüber sinniert und somit das eigentliche Festhalten des Momentes mit einer meditativen Komponente ergänzt.

Bei der fotografischen Erfassung meiner favorisierten “Objekte” ist mir die Vier-Elemente-Lehre immer wieder eine hilfreiche Stütze. Vom Altertum bis ins späte Mittelalter herrschte die Lehre, dass alles Sein aus den vier Elementen oder  “Essenzen” Feuer, Wasser, Luft und Erde besteht. Auch in der chinesischen Kultur gab es ähnliche Modelle. Den Elementen wurden bestimmte Eigenschaften zugeordnet, mit denen sich die Lehre auch in den Bereich der Medizin und der Psychologie erstreckte. So werden zum Beispiel die vier menschlichen Temperamente (phlegmatisch, sanguinisch, melancholisch, cholerisch) mit den Elementen in Verbindung gebracht. Im Volksglauben des späten Mittelalters – massgeblich durch Paracelsus geprägt – entsprachen die vier Elemente bestimmten (Natur-)Geistwesen, auch Elementarwesen genannt: Wassergeister, Luftgeister, Erdgeister und Feuergeister.

Auch wenn die Lehre durch das Aufkommen des Periodensystems der Elemente von Robert Boyle aus wissenschaftlicher Sicht natürlich völlig überholt ist, stellt sich die Frage, ob die frühen Erkenntnisse doch vielmehr einen ganzheitlichen Aspekt erfassten, der in der Zersplitterung modernen Naturwissenschaften zunehmend verloren ging. Hierzu sei das Zitat des ungarischen Medizin-Nobelpreisträgers Szent-Györgyi erwähnt:

Auf meiner Suche nach dem Geheimnis des Lebens endete ich bei Atomen und Elektronen, denen überhaupt kein Leben innewohnt. Irgendwo unterwegs muss mir das Leben zwischen den Fingern durchgeronnen sein

Szent-Györgyi

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Zur Technik

Die beschauliche Fotografie steht im Unterschied zur „Slow-Photography“ der digitalen Technik nicht abgeneigt gegenüber, sondern möchte die vielen Vorteile nutzen ohne von den damit verbundenen Nachteilen beeinträchtigt zu werden. Welche Nachteile hat die digitale Fotografie? Sie verführt zu einer unüberlegten „Knipsfotografie“, die eine Flut von Bildern produziert, von der die Meisten letztlich überfordert sind. Viele kennen das mit Hunderten von Bildern, die sie von den Ferien mitbringen und die dann im Computer endgelagert werden, weil für die Selektion keine Zeit bleibt. Zurück bleibt ein unzufriedenes Gefühl. Wie einfach war es doch früher mit den 2-3 Filmen à 36 Aufnahmen auf hochwertigem Fotopapier. Da hattest Du noch was in der Hand.

Digitale Fotografie ist preisgünstig, benötigt aber für eine seriöse Selektion sehr viel Zeit! Die “kontemplative Fotografie” benutzt ein paar Techniken, die letztlich zu mehr Freude und Zufriedenheit führt – allerdings auch einer gewissen Disziplin bedarf:

1. Zuerst Sehen, dann Fotografieren

Sehe ich etwas Besonderes? Sind die Lichtverhältnisse interessant? Was kann ich mit dem Bild aussagen? Welche Geschichte kann ich erzählen? – Das ist der eigentliche kontemplative Prozess.

2. Beschränkung auf wenige, aber potente Fix-Brennweiten

Mit Fix-Brennweiten muss ich mir vorher Gedanken machen, welche Bildwirkung ich erzielen möchte. Zoom-Objektive schaffen nur die „Qual der Wahl“ und verleiten zur faulen Knipserei. Mit Fix-Brennweiten muss ich mich jedoch körperlich bewegen, das heisst den Kamerastandort eben so wählen, dass das Motiv formatfüllend abgelichtet wird. „Weniger ist mehr“! Auf Brennweiten verzichten, kann bedeuten, dass man nicht immer auf die Schnelle alles ablichten kann, dafür habe ich mit lichtstarken Fest-Brennweiten alle möglichen Optionen offen, wenn es um die Gestaltung mit der Tiefenschärfe geht.

3. 90% der Bilder löschen – am besten direkt bei der Kamera

Sind die vorgängigen Voraussetzungen erfüllt, geht es darum, das wirklich gute Bild „einzukreisen“. Der Vorteil der digitalen Fotografie, nämlich schnell und praktisch kostenlos viele Bilder zu produzieren, kann hier ausgenutzt werden – aber selbstverständlich nur, wenn danach eine harte Selektion erfolgt.

4. Weiteres Löschen und Bearbeitung

Hier kannst du nochmals eine zweite Auswahl treffen, das heisst nochmals ein Grossteil der Bilder hemmungslos löschen. Keine Angst: Wir sehen heutzutage eine noch nie dagewesene Bilderflut. Wirklich nur ganz wenige Bilder treten heute noch aus der Masse. Ganz wesentlich in der Bearbeitung ist der Bildausschnitt – hier kann ich nochmals abstrahieren, um die Bildaussage entsprechend zu verstärken. Die Formatwahl gehört ebenfalls dazu. Die digitale Bearbeitung in der kontemplativen Fotografie hat nur das Ziel, den Moment so hinzukriegen, wie ich ihn visuell erlebt hatte. Gewisse kamerainterne Aufbereitungsprogramme sind so eingestellt, dass die Bilder eine fast schon irreale Dynamik (Farbintensität) haben, die eher wieder zurück korrigiert werden soll.


Fotoschule

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